Artikel von: Jörg Manthey (Westfalen-Blatt)
Wenn das wohltemperierte Wohnzimmer im Winter zur Rennbühne wird: Fiona Schröder (21) vom Rad-Treff Borchen ist mit Vorliebe in virtuellen Rad-Welten unterwegs. Das Zauberwort heißt: E-Cycling.
Ob auf der Insel Watopia oder auf der Weltmeisterschaftsstrecke der UCI in Richmond im Peloton mitsprinten – die trendige und längst salonfähige Online-Plattform Zwift macht solche Ausflüge möglich, nachzusehen auf ihrem eigenem Youtube-Kanal (Fiona‘s Race TV). „Zwift schenkt mir die Möglichkeit, mich weltweit mit der Spitze zu messen“, nennt sie als großen Motivationsanreiz. E-Sports findet im digitalen Raum statt. Die Hauptsache ist eine stabile Internetverbindung.
Fiona Schröder studiert an der Universität Paderborn im ersten Semester Angewandte Sportwissenschaften. Den Leistungssport hat sie erst im Dezember 2019 für sich entdeckt. Verbunden mit diesem „Ja“ war eine heftige Entscheidung; eine andere Begabung musste von da an in den Hintergrund treten. Um sich voll auf den Sport fokussieren zu können, gab Fiona Schröder ein liebgewonnenes Hobby auf. Die dekorierte Sopransaxophonspielerin hatte einst als Schülerin im Bundesfinale von „Jugend musiziert“ den zweiten Platz belegt, gab professionelle Konzerte als Ensemblemitglied der Saxaholics und der Westfälischen Saxophoniker. „Es gab nur das Votum ganz oder gar nicht! Beides zusammen auf diesem Level geht nicht. Dafür ist der Sport zu zeitintensiv“, erzählt die 21-Jährige, die nach ihrem Abitur am Theodorianum ein halbes Jahr mit Work & Travel Lebenserfahrungen in Spanien sammelte und danach bei Hella eine Lehre zur Werkzeugmechanikerin abschloss. Das technische Verständnis, das sie sich dabei aneignete, kommt ihr heute beim Schrauben an ihren Rennmaschinen zugute.
Bereut hat die junge Frau mit der burschikosen Kurzhaarfrisur die Abkehr von der Klangfarbe nicht. Schließlich pflastern seither Sporterfolge ihren Weg. Als Kategorie B-Fahrerin lautete der Plan, Erfahrung zu sammeln und Spaß am strukturierten Training zu haben. Binnen kurzer Zeit mutierte sie zur Fahrerin in einem E-Cycling-Profiteam. Dies ist auch ihr Ziel für die Straße. „Spätestens seit Corona hat sich E-Cycling im Bund Deutscher Radfahrer zu einer eigenen, komplett neuen Disziplin gemausert. Das macht schon Spaß, ist aber natürlich kein Vergleich zu draußen“, sagt sie. Ihre Perspektive sieht sie bei internationalen UCI-Rennen. „Ich möchte bei der World Tour mitfahren. Das ist mein Traum.“
Erst vor Wochenfrist ackerte sie wieder im Sattel. Das World Tour-Team „Movistar“ fahndete nach ambitionierten E-Cycling-Assen für die professionelle Zwift Racing League – passenderweise auf ihrem smarten Lieblingskurs Crit City, konzipiert für hohe Geschwindigkeiten. 1,9 Kilometer lang, nur 15 Meter Höhenunterschied, viele Kurven: purer Rennspaß für Speedjunkies. „Das liegt mir“, meint Fiona Schröder, die es bis ins Finale des Scoutings geschafft hatte. „Das war eine schmerzhafte Erfahrung“, schmunzelt sie. Nicht zuletzt deshalb, weil sie sich im September des Vorjahres bei einem Sturz im Training das Schlüsselbein gebrochen hatte und sich diese Blessur in Erinnerung rief. „Die Platte ist noch drin.“ Das Rennen sei aber gut gelaufen, letztlich schnitt sie als Elfte im Klassement ab. In Kürze will Movistar seine Team-Nominierungen bekanntgeben.
In der digitalen E-Cycling-League Austria rangiert die Deutsche nach acht von neun Rennen mit 1283 Punkten aktuell uneinholbar auf dem zweiten Platz.
Für die kommende Bundesliga-Saison hat sich Fiona Schröder auch schon festgelegt: Sie wird ein Nordlicht. Die anstehende Serie im Oberhaus absolviert sie als jüngstes Teammitglied im blau-weiß-roten Dress des Kieler RV. „Das ist bei mir aber nur Nebenschauplatz. Der Fokus liegt klar auf der internationalen Entwicklung.“
Dass Fiona Schröder über die nötige Portion Talent verfügt, war bereits 2015 erkennbar. Da lernte sie Mieke Kröger aus Bielefeld-Brackwede kennen, zu dem Zeitpunkt Weltmeisterin im Mannschafts-Zeitfahren. Seither hat es schon allerlei gemeinsame Trainings-Ausfahrten und auch Rennbegegnungen gegeben. „Sie ist mein großes Vorbild“, erzählt Fiona Schröder, die 2016 Juniorinnen-Westfalenmeisterin wurde. „Wir ähneln uns auch von der Statur ziemlich. Mit 1,73 Metern bin ich ziemlich groß.“
2020 war ein Jahr, das Geschmack machte auf mehr. Nach dem ersten Trainingslager auf Mallorca mit ihrem Hamburger Trainer und Leistungsdiagnostiker Heiko Lehmann gab sie ihre nationale Straßenpremiere beim Frühjahrspreis des RC Endspurt Herford und konnte auf Anhieb das Rennen in der Spitzengruppe auf dem zwölften Platz beenden. Beim Corona-Chrono-Zeitfahren in Elsdorf musste sie sich nach 9,8 Kilometern einzig Mieke Kröger geschlagen geben. „Ist doch cool, wenn bloß die Weltmeisterin schneller ist“, grinst sie.
Da der Rennkalender aufgrund der Corona-Pandemie arg schrumpfte, fand Fiona Schröder eine neue Herausforderung mit den Zwift Pro/Am-Invitational Rennen. Mit dem Team Fearless beendete sie ihr erstes Profirennen (Bergetappe) in den Top 30. Zu dieser Zeit wurde die virtuelle Bundesliga „GCA-Liga“ der German Cycling Academy ins Leben gerufen, die aus fünf Etappen bestand. Fiona Schröder beendete alle in den Top Ten. Die U23-Lizenzfahrerin schloss diese virtuelle Bundesliga als Einzelstarterin auf Gesamtplatz sieben im Frauenklassement ab.
Ein öffentlicher Zenit war ihr Auftritt im Rahmenprogramm der UCI-Bahnrad-Weltmeisterschaft im Berliner Velodrom beim German Cycling Academy-Finale. Das Zwift Event auf der Crit City Strecke „The Bell Lap“ über sechs Runden, zwölf Kilometer, sah sie als Siegerin. Darüberhinaus fuhr Fiona Schröder in der USA Cycling League. Bestes Resultat dort: Platz sieben. Mit diesem Abschneiden rückte sie in den Fokus des Teams „Saris + The Pro’s Closet“, einem amerikanischen Zwift-Profiteam. Ende September 2020 wechselte sie dorthin und baut seither internationale Kontakte und Rennerfahrung aus.
Viel fehlt nicht mehr bis zur Kristallisierung ihres UCI-Traumes. Aktuell ist Fiona Schröder Mitglied im britischen Team Torelli-Assure-Scimitar. Das fährt Straßenrennen in den Kategorien 1.1, 1.2, 2.1 und 2.2., eine Klasse unter der World Tour. „Ich hoffe so sehr, dass Corona was zulässt.“ Zu ihren Kolleginnen aus sechs Nationen gehören etwa die fünfmalige Dänische Meisterin Amalie Winther Olsen oder Fatemha Yousefi, Mitglied der iranischen Nationalmannschaft. Einen Kampfnamen haben sie Fiona Schröder auch schon verpasst: „The German Diesel“.
Artikel von: Jörg Manthey